für die Lebenden und Verstorbenen beten
Impuls von Pater Philipp Steiner, gehalten in der Klosterkirche am 15. Mai 2016
Liebe Besucherinnen und Besucher der Klosterkirche
Seit dem ersten Fastensonntag wurde jeden Sonntag um diese Zeit ein Werk der Barmherzigkeit betrachtet. Heute, am Pfingstsonntag und zugleich am Ende der Osterzeit, schliessen wir diese Reihe von Katechesen ab mit dem siebten geistlichen Werk der Barmherzigkeit: für die Lebenden und Verstorbenen beten.
Dieses Werk der Barmherzigkeit ist wohl allen von uns bestens vertraut. Die meisten von uns mögen schon einmal von einer uns nahestehenden Person ums Gebet gebeten worden sein oder still im Anliegen eines anderen Menschen gebetet haben, ohne dies an die grosse Glocke zu hängen. Das Gebet für andere – ob für Lebende oder Verstorbene – gehört für uns Christen zur alltäglichen Glaubenspraxis. Es scheint mir, dass es für uns oft zu alltäglich ist und dass wir den Wert des Gebets für andere leicht unterschätzen. Deshalb ist es gut, dass das Gebet eben auch zu den Werken der Barmherzigkeit gezählt wird. Beten ist also ein Werk, eine Tat! Gebet ist nicht die minderwertige Alternative zum Handeln, sondern eine mögliche Weise, als Christ oder Christin konkret zu helfen.
Auch wenn das Gebet für andere oft unterschätzt wird, sollten wir die problematische Seite eines Gebetsversprechens nicht verschweigen. Denn es besteht durchaus die Gefahr, dass man sich mit einem leicht gesagten "Ich werde für dich beten!" aus einer mühsamen Begegnung befreien will, sich aus der Pflicht nimmt oder man im Gebet Gott sagen möchte, wie sich eine andere Person verhalten soll. Doch dies sind Fehlformen des Gebetes. Wie befreiend und stärkend kann es hingegen sein, wenn einem Menschen zugesprochen wird, ihn im Gebet zu unterstützen und zu begleiten! Beide werden sich beschenkt fühlen.
Das Gebet für andere gehört wesentlich zu unserem Christsein. Was aber macht das christliche Beten aber aus? Was ist das besondere, wenn Christen beten? Es ist sicher seine Universalität. Christliches Beten schliesst niemanden aus. Dies zeigt sich besonders an Jesu Weisung: "Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen" (Mt 5,44). Unser Gebet soll auch jenen gelten, von denen wir nichts erwarten, für die wir nichts übrig haben oder unter denen wir sogar zu leiden haben. Jesus hat dies bis zur letzten Konsequenz gelebt, in dem er noch am Kreuz für seine Mörder um Vergebung gebetet hat. Jesus hat aber auch für seine Freunde gebetet, zum Beispiel für Petrus, dass sein Glaube nicht erlischt (vgl. Lk 22,32).
Neben Jesus erscheint im Neuen Testament vor allem Paulus als der grosser Beter. Immer wieder verspricht er den christlichen Gemeinden sein Gebet und bittet auch selbst um das Gebet für sich und die anderen Christen. Im Philipperbrief schreibt er sogar, dass er mit Freude für die Gemeinde in Philippi bete (vgl. Phil 1,4).
Wir sehen anhand dieser Zeugnisse aus der Heiligen Schrift, dass wir als Getaufte ebenfalls eine Solidarität des Gebets leben sollen. Es ist selbstverständlich, dass eine Mutter, ein Vater für die eigenen Kinder betet. Es ist auch normal, dass man für einen Freund, eine Freundin in Not betet. Aber wie gesagt, sollte das Beten für andere über diese emotionalen Beziehungen hinausgehen. Jedermann kann unser Gebet brauchen und es kann befreiend sein, eine schwierige Person ebenfalls im Gebet zu begleiten. Ein einfaches Gebet für sie oder ihn kann den Weg zur Versöhnung ebnen und schenkt uns garantiert mehr Frieden als wenn wir diese Person zum Teufel wünschen. Hören wir, was Gott uns eingibt. Das heutige Pfingstfest erinnert uns daran, dass wir im Gebet vor allem den Heiligen Geist wirken lassen sollen. Der Apostel Paulus drückt dies in eindrucksvollen Worten aus: "So nimmt sich auch der Geist unserer Schwachheit an. Denn wir wissen nicht, worum wir in rechter Weise beten sollen; der Geist selber tritt jedoch für uns ein mit Seufzen, das wir nicht in Worte fassen können" (Röm 8,26).
Was aber hat es mit dem Gebet für die Verstorbenen auf sich? Dies hat sehr stark mit dem Selbstverständnis der Kirche zu tun. Als Christen bilden wir als viele einzelne Glieder einen Leib. Das Haupt dieses Leibes ist Christus selbst. Dieser eine Leib umfasst die Menschen aller Zeiten, Lebende und Verstorbene. Wenn jemand die Schwelle des Todes überschritten hat – so der Glaube der Kirche –, dann kann er nichts mehr für sich selber wirken – dies gilt besonders für die Seelen im Reinigungsort. Sie sind ganz auf die Barmherzigkeit Gottes angewiesen und auf das Gebet der Lebenden. Auch hier ist also unsere Solidarität gefragt, wie der Apostel Paulus sagt: "Wenn darum ein Glied leidet, leiden alle Glieder mit; wenn ein Glied geehrt wird, freuen sich alle anderen mit ihm" (1 Kor 12,26). Vergessen wir also nicht unsere Verstorbenen und lassen wir auch ihnen unser Gebet zugutekommen. Und erinnern wir uns daran, dass auch dieses Gebet ein "Werk der Barmherzigkeit" ist!
Liebe Brüder und Schwestern, lassen wir uns also bei unserem Gebet vom Heiligen Geist leiten und leben wir die christliche Solidarität in einer Gebetspraxis, die niemanden ausschliesst, sondern alle Menschen – Lebende und Verstorbene – umfasst.
Gleich beginnt die Vesper der Klostergemeinschaft, zu der Sie alle ganz herzlich eingeladen sind. Ich wünsche Ihnen eine besinnliche Zeit des Gebets und eine gute neue Woche!
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