Die Lästigen geduldig ertragen

Impuls von Pater Martin Werlen, gehalten in der Klosterkirche am 8. Mai 2016

Eines der geistlichen Werke der Barmherzigkeit heisst: ‚Die Lästigen geduldig ertragen.‘ Wir alle kennen Menschen, die uns so richtig nerven. Denken wir jetzt einmal an einen solchen konkreten Menschen, an einen Menschen, der uns lästig ist! Wie schön wäre doch das Leben, wenn ich diesem Menschen nicht begegnen müsste, mögen wir denken. Vergessen wir dabei nicht: Mit grosser Wahrscheinlichkeit sind wir alle auch Menschen, die mindestens gelegentlich anderen so richtig auf den Wecker gehen.

Wie gehen wir mit Menschen um, die uns lästig sind? Despoten bringen sie einfach um. So schlimm treiben wir es meistens nicht. Wir alle kennen feinere Umgangsformen. Aber auch die können tödlich sein: Menschen einfach übersehen, sie verachten, sie totschweigen, mit unserem Geschwätz Rufmord begehen.

‚Die Lästigen geduldig ertragen‘ - das ist ein anderer Weg. Da merken wir gleich: Barmherzigkeit hat nichts zu tun mit ‚Augen schliessen‘. Im Gegenteil. Ein Mensch, der Barmherzigkeit lebt, öffnet die Augen, nimmt den anderen Menschen wahr, trägt den anderen Menschen mit, sogar wenn er lästig ist. Ja, er erträgt den Lästigen geduldig. Barmherzigkeit ist etwas Grossartiges, wenn wir sie erfahren; wenn andere, denen wir lästig sind, uns geduldig ertragen. Aber wenn Barmherzigkeit von uns gefordert ist, ist sie immer ungemütlich und herausfordernd. Lästige Menschen möchten wir doch manchmal am liebsten mit einem Einfachticket auf den Mars schicken.

Der heilige Benedikt gibt uns Mönchen für die Vorbereitungszeit auf das Osterfest einen interessanten Tipp mit auf den Weg. Was wir uns für diese Zeit vornehmen, sollen wir dem Abt unterbreiten und dafür um seinen Segen bitten. So habe auch ich am Aschermittwoch meinen Zettel abgegeben. Ich verrate jetzt nicht alles, was darauf steht, obwohl es gewiss einige interessieren würde… Hier nur der erste Teil:
"Lieber Abt Urban
Für diese Heiligen Vierzig Tage habe ich mir vorgenommen:
- Tägliches Gebet für einen Mitbruder, der das Talent hat, mir in jeder Hinsicht zu missfallen."

"Tägliches Gebet für einen Mitbruder, der das Talent hat, mir in jeder Hinsicht zu missfallen." Ist das nicht eine hervorragende Formulierung? Sie gefällt mir gut. Ich könnte darüber sogar stolz werden. Aber die Gefahr besteht nicht. Denn diese Formulierung stammt nicht von mir. Die heilige Thérèse von Lisieux (1873-1897) schreibt in ihren Aufzeichnungen: "Es gibt in der Gemeinschaft eine Schwester, die das Talent hat, mir in jeder Hinsicht zu missfallen, ihre Manieren, ihre Worte, ihr Charakter schienen mir sehr unangenehm."

Wir alle kennen Mitmenschen, die das Talent haben, uns in jeder Hinsicht zu missfallen. Wie gehen wir mit ihnen um? Wie gehen wir mit unserer Abneigung um? Was bedeutet: Die Lästigen geduldig ertragen? Hören wir, was die heilige Thérèse schreibt: "So wollte ich der natürlichen Antipathie, die ich empfand, nicht nachgeben, ich sagte mir, die Liebe dürfe nicht in Gefühlen bestehen, sondern müsse sich in Werken äussern; nun bemühte ich mich, für diese Schwester zu tun, was ich für den mir liebsten Menschen getan hätte. Jedesmal, wenn ich ihr begegnete, betete ich für sie zum Lieben Gott. … Ich gab mich nicht damit zufrieden, viel für die Schwester zu beten, die mir so viele Kämpfe verursachte, ich suchte ihr alle möglichen Dienste zu leisten, und wenn ich in Versuchung kam, ihr auf unangenehme Art zu antworten, begnügte ich mich damit, ihr mein liebenswürdigstes Lächeln zu zeigen, und versuchte, das Gespräch auf etwas anderes zu lenken. … Eines Tages in der Rekreation sagte sie mit sehr zufriedener Miene ungefähr folgende Worte zu mir: ‚Schwester Therese vom Kinde Jesu, würden Sie mir sagen, was Sie so sehr zu mir hinzieht, jedesmal, wenn Sie mich anblicken, sehe ich Sie lächeln?‘ Ach! was mich anzog, war Jesus, verborgen auf dem Grund ihrer Seele… Jesus, der das Bitterste süss macht… Ich entgegnete ihr, dass ich lächle, weil ich froh sei, sie zu sehen (selbstverständlich fügte ich nicht hinzu, dies gelte vom geistlichen Gesichtspunkt aus)."

Die Lästigen geduldig ertragen - und dazu noch mit Humor. Das lehrt uns die heilige Thérèse von Lisieux. Und so entstand mein Vorsatz für die Heiligen Vierzig Tage: "Tägliches Gebet für einen Mitbruder, der das Talent hat, mir in jeder Hinsicht zu missfallen." Manchmal machen wir gute Vorsätze und schon nach einem Tag ist alles vergessen. Das passierte mir diesmal nicht. Jeden Tag bete ich seither für diesen Mitbruder. Er selbst erinnert mich daran.

Jesus kennt eine andere Beschreibung für Menschen, die das Talent haben, uns in jeder Hinsicht zu missfallen: Menschen, die in unseren Augen die Geringsten sind. Mit diesen identifiziert er sich. "Wahr ists, ich sage euch: So viel ihr nur einem dieser meiner geringsten Brüder getan - mir habt ihr es getan. … Wahr ists, ich sage euch: So viel ihr einem dieser Geringsten nicht getan - mir habt ihr es nicht getan" (Mt 25,40.45).

Die Lästigen geduldig ertragen - und die Welt wird ein wenig barmherziger: für die anderen und auch für uns selbst.