Die Sünder zurechtweisen
Impuls von Pater Lorenz Moser, gehalten in der Klosterkirche am 24. April 2016
Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer
Heute steht jenes geistliches Werk der Barmherzigkeit zur Betrachtung an, das wohl das schwierigste sein dürfte: "Die Sünder zurechtweisen".
Ich weiss nicht, was ihnen durch den Kopf geht und wie sie sich fühlen, wenn Sie jetzt dazu aufgerufen werden, "Sünder zurechtzuweisen". Haben Sie denn schon einen Sünder zurechtgewiesen? Und wie war es ihnen dann zu Mute? Mir jedenfalls, das muss ich gleich zu Beginn gestehen, ist nicht ganz wohl dabei.
Schon das Wort "zurechtweisen" hat etwas Anrüchiges an sich: es riecht nach korrigieren, besser wissen, recht haben, und der Sünder steht da als einer, der etwas Unschickliches, Schlechtes, Böses getan hat und den man in die Schranken weisen soll. Da kommt mir unweigerlich das Wort Jesu in den Sinn, das er den Pharisäern sagte, als sie die Ehebrecherin zurechtweisen wollten: "wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein auf sie". Und dann fährt er bekanntlich fort: "auch ich verurteile dich nicht. Geh hin und sündige nicht mehr".
Damit ist etwas Entscheidendes gesagt: Sünder zurechtweisen darf kein verurteilen sein, sondern nur die Aufforderung, es in Zukunft nicht mehr zu tun.
Es ist ganz entscheidend, was wir unter "Sünde" bzw. "Sünder" verstehen. Die Bibelstelle, von der dieses Werk der Barmherzigkeit abgeleitet wird, finden wir bei Matthäus; da lesen wir: "Wenn dein Bruder sündigt, dann geh zu ihm und weise ihn unter vier Augen zurecht. Hört er auf dich, so hast du deinen Bruder zurückgewonnen. Hört er aber nicht auf dich, dann nimm einen oder zwei Männer mit, denn jede Sache muss durch die Aussage von zwei oder drei Zeugen entschieden werden. Hört er auch auf sie nicht, dann sag es der Gemeinde. Hört er aber auch auf die Gemeinde nicht, dann sei er für dich wie ein Heide oder ein Zöllner".
Da geht es offenbar darum, dass einer durch sein Verhalten die Gemeinschaft stört und durcheinanderbringt. Zurechtweisen heisst dann ihn einladen, sich der Gemeinschaft wieder einzufügen und sein Verhalten anzupassen.
Es ist das, was uns Benediktinern aus der Regel des hl. Benedikt unter dem Stichwort "correctio fraterna" bekannt ist, die brüderliche Zurechtweisung, wo es darum geht, einen Mitbruder von einem Verhalten abzubringen, das die Gemeinschaft stört und durcheinander bringt; aus Erfahrung wissen wir, wie schwierig es ist, diese Anweisung in der Praxis umzusetzen.
In diesem Kontext setzt "Zurechtweisen" voraus, dass klar ist, worin das richtige Verhalten in der Glaubensgemeinschaft besteht, dem sich der einzelne anpassen und unterordnen soll. Auch das hat seine Tücken. Nicht jedes abweichende Verhalten und nicht jede andere Meinung ist schon abzulehnen und zurechtzuweisen. Es gibt berechtigte Kritik, die jeder Gemeinschaft zum Vorteil werden kann, und da ist eine Zurechtweisung gar fehl am Platz. Da hat man übrigens in der Kirche über die Jahrhunderte schlimmste Fehler begangen, denken wir nur an die Zeiten der Inquisition und an die vielen Ketzer, die verfolgt wurden oder die gar auf dem Scheiterhaufen gelandet sind. Diese Versuchung ist in unserer Kirche auch heute noch vorhanden.
"Sünder zurechtweisen" setzt darum eine ausgeprägte, gesunde Gabe der Unterscheidung der Geister voraus, denn nicht jeder, der als Sünder gebrandmarkt wird, ist auch wirklich ein Sünder.
Doch nochmals zurück zur Frage, was unter "Sünder" und "Sünde" zu verstehen ist.
Als Jesus nach dem grössten Gebot gefragt wurde, hat er auf die beiden Gebote der Gottes- und der Nächstenliebe verwiesen. Kann nicht Ähnliches auch von der Sünde gesagt werden? Ist nicht Sünde letztlich ein Verstoss gegen die Gottes- und die Nächstenliebe?
Was heisst dann aber "einen Sünder zurechtweisen"? Ist der Schlüssel dazu nicht Jesu Wort: "Liebet eure Feinde, tut Gutes denen, die euch hassen"? Da ist keine Rede von "zurechtweisen". Die Sünde gegen die Liebe lässt sich am besten durch die Liebe überwinden.
So betrachtet ist dieses Werk der Barmherzigkeit in erster Linie eine Herausforderung an jeden einzelnen von uns: der Fokus liegt nicht auf der Sünde des Nächsten, nicht auf dem "zurechtweisen", sondern auf der Liebe, die wir auch dem Feind und dem gegenüber, der mich hasst, pflegen sollen.
Das ist eine stete Herausforderung, für die wir auf die Hilfe Gottes angewiesen sind.
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