Die Trauernden trösten

Impuls von Pater Cyrill Bürgi, gehalten in der Klosterkirche am 17. April 2016

Liebe Besucherinnen und Besucher der Klosterkirche

In wenigen Minuten beginnen wir mit der Vesper, dem kirchlichen Abendgebet. Vorher darf ich Ihnen im Rahmen des Jahres der Barmherzigkeit eine kleine Katechese geben. Es geht um das dritte geistige Werk der Barmherzigkeit "Trauernde trösten".

Diese traditionellen Werke der Barmherzigkeit leiten sich aus dem Gleichnis Jesu über das Weltgericht ab (Mt 25,31-46). Dort identifiziert sich Jesus mit jedem geringsten Bruder oder Schwester: "Was ihr für einen meiner geringsten Brüder oder Schwestern getan habt, das hab ihr mir getan."

Jesus selber ist der Notleidende – egal wie die Not aussehen mag. Umgekehrt darf aber auch der Notleidende Jesus in der helfenden Person erkennen. Jesus kann in demjenigen erfahren werden, der Not erleidet, wie in demjenigen, der sie lindert. Im ganzen Geschehen muss sich niemand bewusst sein, dass Christus selbst der eigentlich Handelnde oder Empfangende ist, doch im Licht des Glaubens dürfen wir Ihn erkennen.

Heute darf ich über "Trauernde trösten" sprechen. Diese Liebestat zählen wir zu den geistigen Werken der Barmherzigkeit. Wenn wir jemanden trösten, darf das nicht von oben herab geschehen, sondern muss auf Augenhöhe passieren. Wir dürfen auch keinen billigen Trost zusprechen oder vertrösten. Der Satz "Es kommt schon wieder gut" spricht nicht gerade von sicherer Hoffnung. Als Christen dürfen wir auch nicht einfach auf das Jenseits vertrösten, obwohl wir alle in der sicheren Hoffnung leben, dass Gott einmal "alle Tränen von unseren Augen abwischen wird: Der Tod wird nicht mehr sein, keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal" (Offb 21,4). Wir leben schon jetzt in der Vollendung. Gerade die Osterzeit will uns in immer neuen Varianten klarmachen, dass, wer an Christus glaubt, das Ewige Leben hat – nicht in ferner Zukunft, sondern im Moment der Gewissheit des Glaubens.

Doch gehen wir mal einen Schritt zurück:
Denken Sie an Ihre eigene Trost Bedürftigkeit.
Wo möchten Sie tiefen Trost erfahren?
Kennen Sie Menschen, die Sie trösten möchten?

Wir alle leiden mehr oder weniger an der gegenwärtigen Weltsituation. Wir sehen das Elend so vieler Menschen auf der Flucht, in den Armenvierteln dieser Erde, Opfer von Terror, Gewalt, Ungerechtigkeit und Naturkatastrophen. Angesichts so grosser Not fühlen wir uns hilflos und ohnmächtig. Vielleicht verspüren wir einen tiefen Weltschmerz, der nicht mit billigen Hoffnungsworten weggewischt werden kann. Um diesem grundlegenden Schmerz begegnen zu können, verlangen wir nach einer sicheren Hoffnung, einem existenziellen Lichtblick. Weil diese Trostlosigkeit uns übersteigt, muss auch der Trost uns übersteigen.

Dahin will uns dieses geistige Werk der Barmherzigkeit führen. Kein Mensch kann wirklich befriedigenden Trost spenden, es sei denn Christus selbst. Er kommt uns im Tröstenden entgegen. Er ist die Quelle des Trostes, weil er als Retter und Heiland am Kreuz alle Trostlosigkeit durchlitten und überwunden hat. Er ist aber auch jener, der diese grösste Ohnmacht in das grösste Mittel des Trostes gewandelt hat. In und durch Ihn wird das Kreuz zum Trost. Dies will keine billige Vertröstung auf die Auferstehung sein. Nein, Christus nimmt die Trauer und die Not ernst, indem er sie selber durchleidet. Er leidet im Leidenden mit. Er trauert im Trauernden mit. Wie im heutigen Evangelium geht er als guter Hirte den Weg mit seinen Schafen mit. Er kümmert sich um sie. Er lässt sie niemals zugrunde gehen und lässt sie niemals aus der Hand des Vaters entreissen. Darum kann er auch sagen: "Selig die Trauernden, denn sie werden getröstet werden." Die Trauernden empfangen darin Trost, dass ihr Erlöser mit ihnen durch die Trostlosigkeit hindurch geht, um in der Einheit mit ihm von Gott getröstet zu werden.

Dieser Trost übersteigt unser tiefliegender Weltschmerz. Ja, dieser Trost ist ein Vorgeschmack der Auferstehung, des Lebens in der heilenden Liebe Gottes.

Paulus sagt in seinem zweiten Brief an die Korinther: "Christus tröstet uns in all unserer Not, damit auch wir die Kraft haben, alle zu trösten, die in Not sind, durch den Trost, mit dem auch wir von Gott getröstet werden" (2 Kor 1,4).

Gerade im Bewusstsein, dass Christus in jeglicher Not gegenwärtig ist, dürfen wir auf Augenhöhe und mit einer sicheren Gewissheit Trauernde trösten, weil wir durch unseren Glauben substantiellen Trost erfahren.