Hungrige speisen
Impuls von Pater Thomas Fässler, gehalten in der Klosterkirche am 14. Februar 2016
Liebe Mitchristen!
Papst Franziskus hat das laufende Jahr unter den Aspekt der Barmherzigkeit gestellt, um uns einmal mehr Gottes Barmherzigkeit uns Menschen gegenüber ins Bewusstsein zu bringen. Aus Anlass dazu stellen wir an den Sonntagen der Fasten- und Osterzeit jeweils einige Gedanken über die Werke der Barmherzigkeit an. Sie sind uns von Gott ans Herz gelegt – als tätiger Ausdruck auch unserer Barmherzigkeit und Liebe den Mitmenschen gegenüber.
Heute, am ersten Fastensonntag, beginnen wir mit dem ersten Werk der Barmherzigkeit: Der Speisung Hungriger.
Jedes Mal, wenn wir uns im "Vater Unser", jenem Gebet, das Christus uns selbst zu beten gelehrt hat, an Gott richten, bitten wir ihn auch um das tägliche Brot. Mit dem Ausdruck "Brot" ist dabei nicht nur das zu Mehl zerriebene Korn gemeint, das mit anderen Zutaten vermischt und im Ofen gebacken wurde; vielmehr ist damit all das gemeint, was wir für ein erfülltes Leben brauchen. Und dabei inbegriffen sind auch immaterielle Güter wie Liebe, Zuneigung, Geborgenheit – Dinge, ohne die der Mensch sein Leben kaum als erfüllt, sondern vielmehr als leer empfindet. Der Blick darauf ist gerade bei uns in unseren Breitengraden wichtig, wo jeden Abend Tonnen von Lebensmitteln weggeworfen werden und nur wenige Menschen wirklich hungern müssen. Dafür ist in unserer Gesellschaft der Durst, die Sehnsucht nach Angenommensein, Eingebundensein, Geborgenheit umso wichtiger.
Vor Kurzem traf ich zwei Schwestern jenes Ordens, den die selige Mutter Teresa von Kalkutta gegründet hat. Die selbstgestellte Aufgabe dieses Ordens ist es, den Ärmsten der Armen beizustehen und ihre Not so gut wie möglich zu lindern. Auch in Zürich sind einige Schwestern stationiert. Eine von ihnen versicherte mir, dass es auch dort alle Hände voll zu tun gäbe – doch sehen dort ihre Aufgaben etwas anders aus als in vielen Hungers- und Elendsgebieten dieser Welt. In der Weltstadt von Zürich geht es nämlich vor allem auch darum, den geistigen Hunger der Leute zu stillen: Leuten Zeit zu schenken, die vereinsamt sind; Leuten ein offenes Ohr zu leihen, denen sonst niemand zuhört.
Das Brot zu teilen hatte schon immer den Aspekt des Einbindens; wer mit jemandem am gleichen Tisch isst, hat Gemeinschaft mit ihm. Das wusste auch Jesus, wenn er zusammen mit denen ass, die am Rand der Gesellschaft standen; dies wurde ihm prompt von den selbstgerechten Pharisäern vorgeworfen: "Wie kann er mit Zöllnern und Sündern essen?" (Mk 2,16).
Die Fastenzeit ruft uns dazu auf, Jesu Spuren nachzufolgen. Zum Glück sind uns viele Möglichkeiten gegeben, etwas von dem, was wir täglich von Gott erhalten, weiterzuschenken – und so zu zeigen, dass wir es mit dem Glauben ernst meinen. Denn ein Glaube, der reines Lippenbekenntnis bleibt, ein Glauben, der keine Werke hervorbringt, ist tot. So ist auch im Jakobusbrief zu lesen: "Wenn ein Bruder oder eine Schwester ohne Kleidung ist und ohne das tägliche Brot und einer von euch zu ihnen sagt: Geht in Frieden, wärmt und sättigt euch!, ihr gebt ihnen aber nicht, was sie zum Leben brauchen – was nützt das?" (Jak 2,14-16).
So können wir etwa durch unseren Beitrag ans Fastenopfer dazu beitragen, dass Menschen zu ihrem täglichen Brot kommen. Noch persönlicher gefordert sind wir jedoch, wenn es darum geht, den Hunger nach immateriellen Gütern zu stillen, der in nächster Nähe von uns allen grassiert: Haben wir denn nicht alle einen Nachbarn, der sich über ein kleines Gespräch freuen würde? Oder vielleicht gibt es sonst jemanden in der Familie, am Arbeitsplatz, der sich einsam fühlt? Wo könnte meine Liebe, meine Aufmerksamkeit die Welt etwas heller machen?
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